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Herbert Rauner über:

HÉLÈNE CIXOUS

*5. Juni 1937 in Oran (Algerien)

Schriftstellerin, Philosophin, Universitätsprofessorin (Anglistik); lebt und arbeitet in Paris und Arcachon; als Literaturwissenschaftlerin und Philosophin, vor allem aber als Roman- und Theaterautorin hat Hélène Cixous  seit 1967 über 90 Bücher veröffentlicht

 

Hélène Cixous’ an der Matrix der französischen Sprache ausgerichtetes dichterisches Werk bringt gleichermaßen originelle wie traditionsgesättigte Kunstwerke hervor, deren Bezugspole die gesamte abendländische Denk- und Kunsttradition aufspannen. Ihre zuweilen experimentelle Prosa speist sich oft aus poetischen Quellen und durchspielt die gesamte Bandbreite dichterischer Ausdrucksformen: Romane, Theaterstücke, Essays.

Schreiben ist für Cixous weibliche Selbsterkundung und Selbstkreation; diesen feministischen Ansatz hat sie insbesondere während ihrer akademischen Tätigkeit programmatisch entwickelt (écriture féminine). Cixous prägt als dekonstruktive Sprachdenkerin (zusammen mit ihrem 2004 verstorbenen Freund Jacques Derrida) seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die poststrukturale Literatur und Philosophie nicht nur Frankreichs.

Hélène Cixous’ inzwischen schier unüberschaubares Werk verschränkt zahlreiche kulturelle Stränge: Philosophie, Literaturwissenschaft, Psychoanalyse, Politik, Feminismus. Aus ihrer Biographie (Mutter aus deutsch-jüdischer Familie, Vater Kolonial-Franzose/Algerien) wirken jüdische, deutsche und maghrebinische Einflüsse in ihr zwar durchgängig französischsprachiges, dabei jedoch immer multilingual geprägtes Œuvre. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts pflegt Cixous die von ihr selbst entwickelte Erzählform der „Autobiografiktion“. Darin sind Erzählperspektive und -sujet einerseits an Personen aus ihrer eigenen Lebensgeschichte ausgerichtet (sie selbst als Ich, ihre Eltern Georges und Ève sowie ihr Bruder Pierre), zugleich aber werden die Grenzen zwischen Fiktion, literarischen Figuren und eigener Vita aufgehoben. Ihre autobiographisch geprägte Prosa gewinnt in solcher Vielstimmig- und Vielschichtigkeit mythische Dimensionen.

Hélène Cixous schreibt in ihren Werken die Traditionslinie der großen Bekenntnisliteratur fort: Augustinus, Michel de Montaigne, Rousseau. Zudem beruft sie sich dezidiert auf literarische Vorbilder: Homer, Shakespeare, James Joyce, Franz Kafka, Arthur Rimbaud, Clarice Lispector, Thomas Bernhard, Ingeborg Bachmann. Cixous hat immer auch kreativ kooperiert, so mit dem Théatre du Soleil Ariane Mnouchkines oder mit bildenden Künstlern (Pierre Alechinsky, Adel Abdessemed). Mit Jacques Derrida verband sie eine lebenslange Freundschaft, aus der nahezu geschwisterliche Arbeiten erwuchsen (Voiles, Insister).

Bei allem Bildungsreichtum einer poeta docta liegt der Hauptakzent von Hélène Cixous’ Schreiben auf existenziellen Themen; so rücken seit der Jahrtausendwende verstärkt Leben und Sterben ihrer Mutter in den Mittelpunkt ihrer dichterischen Expeditionen (Osnabrück, Ève s’évade, Homer est morte). Um die Figur ihrer Mutter Ève, deutsche Jüdin, geboren als Eva Klein in Osnabrück, konfiguriert sich in einer ganzen Reihe von Büchern der „Mythos Osnabrück“ (Une autobiographie allemande): Ein Themenkomplex, in dem Cixous in unterschiedlichen Blickwinkeln ihre Familiengeschichte und damit ihre eigene Herkunft umkreist. Ein der Erinnerungsarbeit verschworenes Unterfangen, das Licht in ein Dunkel bringen möchte, dessen Undurchdringlichkeit buchstäblich wird: „Ich begreife nicht, warum ich nicht begreife.“ (1938, nuits) So sind Cixous’ Werke der beständig neu ansetzende Versuch, die Bedeutung des Schreibens, der Schrift und der Sprache für den einzelnen Menschen zu erkunden.

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